Diese Start-ups stehen in der Endrunde des CONTENTshift-Accelerators. Alle haben innovative Ideen und Konzepte, von denen auch die Buchbranche profitieren kann.
Wer kennt es nicht: Eine wichtige Suche wird dadurch erschwert, dass man lauter Printbücher oder E-Books umständlich einzeln durchforsten muss. Die Suchmaschine Bookscreener (als Teil des Start-ups LeReTo, das die digitale Recherche für Juristi*nnen vereinfacht) von Veronika Haberler hat da eine intelligente Lösung. »Uns hat die Vorstellung inspiriert, einfach über unser ganzes Bücherregal hinweg eine Volltextsuche starten oder so nach neuen Werken suchen zu können«, erläutert die Gründerin ihre Vision. »Wir verstehen uns als Serviceprovider für die Branche: Die Verlage können ihren Content, sprich bereits vorhandene Datenbestände, innovativer zugänglich machen, weil er von uns entsprechend aufbereitet wird.«
Was Bookscreener so besonders macht, ist das speziell entwickelte Sunburst-Menü. »Die Visualisierung der Daten im Sunburst zeigt dabei immer statistisch korrekt die Verteilung der gesuchten Treffer im gesamten Buchbestand an.« Das Tool sorgt nicht nur für einen quantitativen Überblick, sondern auch für einen interaktiven Filter, mit dem sich Nutzer*innen einfach durch die verschiedenen Fachbereiche bewegen können, darunter Natur-, Sozial- und Wirtschaftswissenschaften.
Die Suchergebnisse werden dabei bunt auf der jeweiligen Seite des Buchs markiert. Bisher kooperiert das Start-up mit dem österreichischen Universitätsverlag und dem Fachbuchhändler facultas und hat dessen komplettes Programm umgesetzt – einen kostenlosen Eindruck, wie das genau aussieht und wie Bookscreener im Detail funktioniert, bekommt man unter facultas.at/bookscreener
Foto: © Paul Bauer Photography
Foto: © Andrea Heinson
Seit ihrer Kindheit beschäftigt sich Samantha Merlivat mit dem Thema Legasthenie: Ihr Bruder ist Legastheniker, ihre Mutter leitet ein Legasthenieinstitut in Frankreich. »Ich habe gemerkt, wie hart es für meinen Bruder ist und wie viel Zeit und Mühe das auch meine Eltern gekostet hat«, resümiert sie. »Alle, mit denen ich gesprochen habe, benannten die gleichen Probleme: Für Spezialist*innen gibt es viel zu lange Wartelisten.« Eine digitale Lösung musste her, um alles Wissen in einer App zu bündeln, die Eltern, Kinder und Lehrer*innen gleichermaßen nutzen können. Merlivat fackelte nicht lange: GoLexic wurde gegründet.
Die App (bisher für iOS-Systeme, auf Deutsch und Englisch) hat spezifische Aufgaben von rund 15 Minuten, die täglich gelöst werden müssen. Damit können Sieben- bis Vierzehnjährige ihre Lesefähigkeiten trainieren, etwa indem sie Geräusche, Buchstaben oder Buchstabenkombinationen zuordnen. Coole Gamification sorgt für Anreize: Man kann Raumschiffe bauen und fremde Planeten besuchen. »Die Kinder haben sehr viel Spaß dabei und vergleichen ihre Fortschritte!«, so Samantha Merlivat, die künftig stärker mit der deutschsprachigen Buchbranche kooperieren will – vor allem mit Schulbuchverlagen. »Einerseits erweitern diese so ihr Portfolio, andererseits ist das langfristig gut: Denn nimmt man den Kindern nicht nur die Angst vorm Lesen, sondern verwandelt diese sogar in Liebe, werden sie hoffentlich auch später im Leben öfter zu Büchern greifen.«
Der Versuch, einen eigenen Roman zu veröffentlichen, brachte Lars Leipson auf die große Frage: Ist es möglich, datenbasiert vorherzusagen, welche Bücher ein Erfolg werden? Mit Lit-X sammeln er und Mitgründer Sebastian Hermanns »marktabdeckende, internationale Daten, um eine Basis als Grundlage für Trendanalysen, Preissetzung und Erfolgsvorhersagen zu schaffen«. Lit-X gebe keine Bestsellergarantie, betont Leipson – könne aber dabei helfen, den Erfolg eines Titels in einem Genre einzuschätzen. »Wir sagen natürlich nicht die Zukunft vorher«, erläutert Leipson. »Es handelt sich um machine-learning-basierte, statistische Methoden, mit denen wir ausweisen, wie hoch die Wahrscheinlichkeit ist, dass Leser eines Genres ein bestimmtes Buch gut finden.«
Lit-X soll die Intuition unterstützen, Hypothesen validieren. »Wir machen uns zunutze, dass der US-Markt Deutschland ungefähr ein Jahr voraus ist, was Inhalte angeht – um zu sehen, was trendet.« Die Daten, die dafür gesammelt werden, setzen sich etwa aus Onlineshops, Bewertungscommunitys und Social Media zusammen. »Sie können vielseitig eingesetzt werden – also genauso dabei helfen, neue Titel im Trendscouting zu identifizieren wie die Preissetzung von E-Books zu optimieren.« Eine Allround-Anwendung mit großen Zielen: Lit-X will Verlagen, aber auch dem Buchhandel, Agenturen und Autor:innen datenbasierte Entscheidungen ermöglichen.
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Barrierefreiheit per Mausklick: Allein in Deutschland werden zehn Millionen Menschen von wichtigen Informationen ausgeschlossen, weil sie komplizierte Texte nicht verstehen – »aufgrund von Behinderungen, geringen Sprachkenntnissen oder Bildungsnachteilen«, zählt Flora Geske auf. Sie ist Geschäftsführerin und Co-Gründerin von SUMM AI, einem Tool, mit dem sämtliche Texte per künstlicher Intelligenz in leichte Sprache »übersetzt« werden können. Die Idee dafür kam Geske, weil sie das Problem der Ausgrenzung aus ihrer eigenen Familie kennt: »Meine Tante gehört durch eine Behinderung zu dieser Zielgruppe«, erläutert sie. SUMM AI soll ihr und vielen anderen Menschen dabei helfen, in jeder Hinsicht am öffentlichen Leben teilzunehmen.
Das Tool achtet übrigens auf den Sinnzusammenhang und überträgt nicht nur einzelne Wörter oder Sätze: »Texte werden abschnittsweise verarbeitet, also auf Basis des gesamten Kontexts.« SUMM AI kürzt dann Sätze, stellt Wörter teilweise um und benutzt einfachere Synonyme, um das Verstehen zu erleichtern. In erster Linie ist das vor allem für Unternehmen und die öffentliche Verwaltung relevant, die ihre Texte schnell und kostengünstig in leichte Sprache übertragen wollen. Das Verfahren hat Zukunft, denn Flora Geske erinnert an eine Neuregelung: Ab dem 28. Juni 2025 gilt das Barrierefreiheitsstärkungsgesetz. Ab diesem Zeitpunkt müssen digitale Dienstleistungen und Produkte (darunter etwa Webshops und E-Books) barrierefrei angeboten werden. Künftig will die Gründerin mit ihrem Team stärker in der Medienwelt unterwegs sein. Von der Teilnahme am CONTENTshift-Accelerator erhofft sie sich Vernetzung und Austausch mit Verlagen.
Ein Smartphone im Unterricht benutzen? Was an deutschen Schulen noch immer eine Ausnahme ist, ist in anderen Ländern gang und gäbe. Das stellte Felix Weiß bereits 2018 fest, als er an einer Schule in Uruguay unterrichtete – die Idee, eine Software zu entwickeln, die speziell auf Schüler*innen und Lehrkräfte zugeschnitten ist, war geboren. Gemeinsam mit Marius Lindenmeier gründete er das Start-up thea (ein Akronym von technology helping education to advance), mit dem die beiden wiederum das KI-Tool to teach entwickelten. »Wir haben schon früher mit künstlicher Intelligenz experimentiert, aber die Möglichkeiten waren noch sehr begrenzt«, erläutert Weiß. Ende 2022 mit dem Launch von ChatGPT und einem Update von Midjourney änderte sich das schlagartig: Der perfekte Moment für to teach war gekommen.
Aber was genau macht das Tool? »Bisher verliert man zehn Prozent der Schüler*innen, weil sie andere Lernwege brauchen«, so Weiß. »Mit to teach können per Knopfdruck individuelle Lehrinhalte erstellt werden, zum Beispiel Übungsaufgaben, Lückentexte oder multimedialer Content. Und es ist ganz einfach möglich, Thema, Niveau und Format zu verändern.« Bisher bietet to teach Sprachen und Mathe für alle Klassen von Grundschule bis Abitur, langsam folgen andere Fächer; für die Zukunft denken die Gründer außerdem Richtung Uni. »Wir arbeiten aber nicht nur mit Lehrenden zusammen, sondern auch B2B mit Verlagen«, betont Weiß. »Mit unserer Teilnahme bei CONTENTshift hoffen wir auf tolle Kontakte und Expertise aus der Branche.«
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Foto: © Sage Group plc 2023
Inspiration bekommt man manchmal an den ungewöhnlichsten Orten. Im Fall von Kelli Fairbrother war es die Londoner Tube. Sie beschreibt eine aberwitzige Situation: »Ich saß da und hörte gerade ›Factfulness‹ von Hans Rosling, und an einer Stelle sagte der Erzähler, ich solle, um die Grafiken zu sehen, jetzt PDFs von einer Website herunterladen – und das im Jahr 2018!« Ihr wurde bewusst, dass sie gerade eine Marktlücke entdeckt hatte: Es musste schließlich eine Möglichkeit geben, um Texte, Illustrationen und Audio zu kombinieren. Geboren war die Idee für xigxag.
Zusammen mit Co-Gründer Mark Chaplin hat Fairbrother eine klare Vision. »Unser Ziel ist, dass Menschen, die Hörbücher kaufen, nicht zu kurz kommen sollen.« Das bedeutet: Sie sollen ebenfalls die Illustrationen sehen, Notizen machen, Dinge nachschlagen oder Zitate mit anderen teilen können. Xigxag ermöglicht außerdem, ganz nach Belieben zwischen dem Lesen und Hören eines Buchs hin- und herzuspringen: »Sobald die Nutzer*innen einmal erlebt haben, was alles möglich ist, begreifen sie, was ihnen bisher gefehlt hat.«
Der Erfolg gibt Fairbrother und Chaplin recht: Inzwischen haben mehr als 70000 Menschen die App heruntergeladen. Jetzt soll xigxag auch den deutschen Markt erobern – ein Land, das Fairbrother, die Ende der 90er Jahre in Ansbach lebte, gut kennt. »Nach Großbritannien ist dies unser zweitgrößter Markt. Wir sind bereit für internationales Wachstum und konzentrieren uns dabei auf Deutschland.«
Mit dem Förderprogramm will die Börsenvereinsgruppe Start-ups und etablierte Branchenfirmen zusammenbringen und Innovationen fest in der Buchwelt verankern.
Die teilnehmenden Gründer*innen durchlaufen Coachings und einen Co-Creation-Workshop, um ihre Geschäftsmodelle gemeinsam mit der Branche zu prüfen und Kooperationsmöglichkeiten auszuloten.
Das Coaching übernehmen die beiden Branchenexperten Harald Henzler (smart digits GmbH) und Okke Schlüter (Hochschule der Medien, Stuttgart).
Auf der Frankfurter Buchmesse treten die Finalist*innen zum entscheidenden Pitch an. Dann kürt die Jury das Content-Start-up des Jahres, das eine Förderprämie von 10.000 Euro erhält.
Gefördert wird der Wettbewerb von Unternehmen aus der Branche, die auch in der Jury vertreten sind. Diesmal dabei:
Text: Isabella Caldart