Die Start-ups, die für den CONTENTshift-Accelerator nominiert sind, bekommen jedes Jahr ein exklusives Coaching von Harald Henzler und Okke Schlüter. Die beiden bringen viel Expertise mit: Henzler war Geschäftsführer in einem Verlag, bevor er vor zehn Jahren die Beratungsfirma smart digits gründete, außerdem ist er seit drei Jahren Dozent an der Internationalen Hochschule SDI München für den Studiengang Digital Media Manager, während Schlüter bei seinen Jahren im Klett Verlag als Intrapreneur bereits interne Start-ups und Produkte entwickelte, und inzwischen an der Hochschule der Medien in Stuttgart Medianpublishing lehrt. Die perfekten Personen also, um die etablierte Verlagswelt mit innovativen Start-ups zu vernetzen. Doch wie genau sieht diese Arbeit aus? Wir haben bei den Profis nachgefragt.
Worin sehen Sie die Stärken von CONTENTshift? Wie kann der Accelerator die Buchbranche voranbringen?
Schlüter: Es fängt schon damit an, dass es sich um den einzigen Accelerator handelt, der dezidiert auf die Buchbranche zugeschnitten ist. Das bedeutet, er ist vom Börsenverein getragen, wird von einer hochkarätigen Jury unterstützt und bietet ein optimales Kontaktnetzwerk – gerade mit uns beiden als Coaches, die über ein Netzwerk in der gesamten Branche verfügen. Es ist ein einzigartiges Programm im deutschen Sprachraum.
Henzler: Der Austausch wird dabei in den Vordergrund gestellt. Er vermittelt den Start-ups ein Verständnis für die Branche und zeigt ihnen auf, wo sie andocken können, Luhmann würde sagen, wo sie “anschlussfähig” sind. Und gleichzeitig – vor allem auch über die Jurymitglieder – zeigt sich die offene Haltung der Branche dafür, was die Start-ups machen. Es besteht also ein wechselseitiges Interesse, bei dem der Accelerator die Kommunikation moderiert.
Schlüter: Ich sage immer, dass das wie Parship ist: Beide Seiten suchen Partner und geben sich Mühe, die andere Seite zu verstehen.
Welche Coachings gibt es denn für Start-ups? Wie geht man da methodisch vor? Gibt es eine Art allgemeinen Ratschlag oder ist das von Start-up zu Start-up individuell?
Henzler: Wir beobachten die Situation, in der das jeweilige Start-up ist und überlegen, was passt. Um das Bild von Okke aufzugreifen: Wenn das Unternehmen eine große Blondine sucht, das Start-up aber kleiner und dunkelhaarig ist, müssen wir schauen, ob das ein Match ist. Außerdem haben wir eine ganze Reihe von Tools in unserem Werkzeugkasten, darunter Geschäftsmodellierung, Designentwicklung oder Erstellung von Persona-Modellen zwecks Kundenanalyse, die wir jeweils aus dem Kasten ziehen.
Schlüter: Wir haben für CONTENTshift auch ein Whitepaper verfasst, in dem wir die Herangehensweise und einen Kriterienkatalog erläutern.
Wie ermöglichen Sie die Branchenkontakte – wie bringen Sie die Start-ups und die Buchbranche zusammen?
Henzler: Für die Start-ups ist wichtig, dass sie, wenn sie mit der Branche zusammenkommen, über Use Cases erste gemeinsame Erfahrungen sammeln, sodass über diese gemeinsame Entwicklung Vertrauen entsteht und überprüft werden kann, ob sich die Sache lohnt. Wir ermöglichen also quasi „erste Dates“.
Schlüter: Es ist natürlich eine Gratwanderung, weil wir unseren Kontakten nichts verkaufen wollen, das heißt, wir werden die Start-ups nicht über den grünen Klee loben, sondern Appetit machen. Es ist ein Matchmaking, und dann sind die Start-ups selbst ihres Glückes Schmied.
Henzler: Das ist wichtig zu betonen: Wir kriegen keine Provision, es ist kein Affiliate-Marketing. Wir haben vielmehr einen guten Ruf zu verlieren.
Welche Erfahrungen haben Sie in den sechs Jahren, die Sie schon mit dem CONTENTshift-Accelerator zusammenarbeiten, gemacht?
Schlüter: Als allgemeinen Trend kann man definitiv ausmachen, dass Technologie immer entscheidender wird. Es gibt kaum eine vielversprechende Geschäftsidee, die nicht maßgeblich von Technologie getragen wird. Das hat einen Mehrwert für die Buchbranche, weil die Start-ups darin fit sind. Viele Start-ups können sich auch immer professioneller präsentieren. Da muss man die eigenen Antennen verfeinern, um zu erkennen, wo das Potential ist.
Henzler: Auch die Anforderungen sind gestiegen, man muss sehr genau schauen: An welcher Stelle kann ich was bieten? Welche Lösungen lassen sich in eigene Prozesse gut integrieren? Es ist ein bisschen wie mit Apps auf dem Smartphone: Am Anfang hat man viel ausprobiert, Apps runtergeladen, aber inzwischen sind diese Veränderungen langsam. Um eine neue App auf seinen Start Screen aufzunehmen, muss es einen sehr guten Grund geben. Und das ist vergleichbar mit den Unternehmen – man muss ihnen plausibel erklären, warum man auf den ersten Bildschirm gehört.
Schlüter: Die Zusammenarbeit ist manchmal wie eine Achterbahnfahrt. Es gibt Momente, da die Start-ups deprimiert sind, weil sie den Eindruck haben, sie kommen nicht voran, und dann die Glücksmomente, wenn der Knoten platzt. Es ist ein Wechselbad der Gefühle.
Henzler: Wir sind auch deswegen dabei, weil es kein Jahr gibt, in dem nicht auch wir etwas lernen. Die Begegnungen haben mich weitergebracht. Und so geht es den meisten in der Jury ebenfalls, deswegen gibt es da so viele Wiederholungstäter.
Schlüter: Das ist ein schöner Beleg für die Produktivität von Diversity. Die Menschen im Programm sind sehr unterschiedlich; die Jury ist eher unsere Generation, die Start-ups könnten, nüchtern gesagt, unsere Kinder sein. Wir tauschen Sichtweisen auf die Welt aus, und wenn man sich darauf einlässt, ist das wirklich sehr bereichernd. Wir lernen auch von den Start-ups.
Welche Bedingungen müssen Start-ups denn erfüllen, um sich beim CONTENTshift zu bewerben?
Schlüter: Sie müssen eine klare Vorstellung haben, wessen Probleme sie wie lösen wollen, wie das Geschäftsmodell ist. Wenn sie davon eine Vorstellung haben, dann einfach bewerben. Es geht nicht darum, in der „Höhle des Löwen“ schon die ersten 100.000 Euro eingesammelt zu haben. Man braucht einfach eine begründete Idee. Das sind die Zutaten, den Rest sieht man dann schon.
Und was haben die Unternehmen davon?
Schlüter: Diejenigen, die nicht in der Jury sind, haben natürlich den Nachteil, dass sie nicht im Parkett, sondern im Rang sitzen. Vielleicht möchten sie ja im kommenden Jahr in die Jury? Aber auch sonst profitiert die ganze Branche mittelbar von den Errungenschaften. Denn wenn die Jurymitglieder und Coaches ihre Kontakte einbringen, sind das Business Opportunities für alle. Das Konsortium ist kein geschlossener Bridge-Club, sondern für die gesamte Branche gedacht.
Was erwartet die Teilnehmenden dieses Jahr?
Henzler: Business as usual ist es nie. Das liegt auch an den Start-ups, es ist jedes Jahr eine Überraschungstüte, wer kommt. Und auch das Zusammenspiel zwischen den Start-ups selbst ist spannend und wertvoll für sie, auch was sich da für Dynamiken ergeben.
Schlüter: Nach zwei Jahren Arbeit im Home Office gibt es einen massiven Digitalisierungsschub in der Buchbranche, und dadurch fallen neue Ideen auf fruchtbareren Boden als letztes und auf jeden Fall vorletztes Jahr. Sowohl die Start-ups als auch die Unternehmen profitieren von diesem Digitalisierungsschub, weil er Barrieren senkt.
Text: Isabella A. Caldart